Literaturtage Lauf 2010 – Michael Lentz und Axel Kühn
Hinterlasse einen Kommentar09.11.2010 von axeage
Also eine Lesung war es definitiv nicht. Ein Konzert irgendwie auch nicht. Es war, wie man so etwas heutzutage gerne bezeichnet, eine Performance. Michael Lentz, der so neumodische Sachen macht, wie Poetry Slam, aber auch ganz konventionell Romane schreibt und insgesamt etwas schüchtern daherkam, was ich ihm anfänglich als Arroganz ausgelegt habe, dieser Michael Lentz, der auch noch Professor am Leipziger Literaturinstitut ist, kam also auf die Bühne, stellte sich ans Mikrofon und las Gedichte vor.
Hmmm….
Um noch einmal kurz auf die eingangs erwähnte, vermeintliche Arroganz einzugehen: Ich hätte schon erwartet, dass er uns, das Publikum, das zahlreich an diesem Abend erschienen war, um sich auf dieses literarische Experiment einzulassen, denn tatsächlich wussten sicher die wenigsten, was sie an diesem Abend erwarten würde, dass er also uns, die Kunstbeflissenen und nach Lyrik und Poetry dürstenden, zumindest mit einem kurzen Hallo oder Guten Abend allerseits begrüßt.
Nichts dergleichen. Herr Lentz legte sofort los und las aus seinem Buch Offene Unruh, 100 Liebesgedichte. Zugegeben, er las mit viel Inbrunst und Esprit. Manchmal begann er so laut, um nicht zu sagen explosionsartig, dass es einen Großteil der Zuhörer erschreckt aus ihren Sitzen riss. Aber spätestens nach dem vierten Explosionsstart hatte man sich auch daran gewöhnt und sehnte aber dann doch irgendwann den Zeitpunkt herbei, an dem der auf einem Stuhl sitzende Saxophonist Axel Kühn endlich zum Einsatz kommen würde.
Nach gefühlten 150 Liebesgedichten war es dann auch endlich soweit. Es folgte eine wilde Mischung aus sprachlich reduzierten Texten, gelesen und teilweise elektronisch verfremdet von Michael Lentz und improvisierter Saxophonmusik, die von Bass- oder Synthesizerläufen unterlegt war, die wiederum als Konserve aus einem Laptop kamen und über ein sogenanntes Kaoss-Pad liefen. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich mich nach der Performance kurz mit Herrn Kühn unterhalten habe und mir die Funktionsweise eines solchen Wunderwerks der Technik habe erklären lassen. Wer sich dafür interessiert – hier ein LINK zum Hersteller.
Ich könnte jetzt boshaft sagen: die Musik war gut, nur die Texte von Herrn Lentz wirkten etwas störend. Tatsächlich konnte ich den stakkatoartig und sich endlos wiederholenden Satzfragmenten nicht viel abgewinnen, wenngleich Timing und Arrangement immer stimmig waren. Man merkte den beiden an, dass sie hochkonzentriert bei der Sache waren und im Vorfeld viel und oft geübt hatten. Auch Lentz griff schließlich zum Saxophon und forderte Axel Kühn zum musikalischen Zwiegespräch. Doch auch hier wirkten die Texteinstreuungen eher als Fremdkörper, denn als kongeniale Darbietungsergänzung.
Dass Michael Lentz auch wirklich gute Prosa zu schreiben in der Lage ist, bewies er dann aber im zweiten Teil der Veranstaltung. Er las aus seinem Roman Pazifik Exil den Teil, in dem sich Berthold Brecht auf eine Cocktail-Party vorbereitend mit seiner Frau hadert, weil das gewählte Hemd einen Fleck aufweist, sich darüber echauffiert, dass die Luft in Amerika unriechbar ist, dabei die Vorteile preist, sich stets in Unterwäsche zu baden, weil damit gleichzeitig auch die Unterwäsche gereinigt wird und schließlich feststellt, dass er auf dem Weg zu besagter Party das Haus in Pantoffeln verlassen hatte.
Dieser kurze Ausschnitt war so köstlich, dass ich mir nach der Veranstaltung das Büchlein gekauft und habe signieren lassen.
Sieht man von den reichlich sperrigen Textvertonungen und dem etwas zu lang geratenen Teil der Gedichtlesung ab, war das gestern ein durchaus kurzweiliger Abend, der bestimmt noch etwas gelungener geraten wäre, hätte sich Herr Lentz zwischen den einzelnen Darbietungen zur einen oder anderen launigen Überleitung hinreißen können. So aber kam alles etwas bemüht daher und erinnerte insgesamt weniger an einen Poetry Slam, als an den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Naja, immerhin hat er den ja tatsächlich im Jahre 2001 gewonnen.
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