Seekrank an der Ruhr – Seasick Steve in der Zeche Bochum
128.04.2017 von axeage
Seasick Steve, der alte Mann, der niemandem sein wahres Alter verrät, ist derzeit auf Deutschlandtour. Nach Bayern zu kommen, hatte er offensichtlich keine Lust. Zu den Spielorten in Darmstadt, Erfurt oder Saarbrücken habe ich keinerlei Bezug, blieb also nur noch das Ruhrgebiet, wo ich mit Micha, Hanz und Hardy drei Freunde vor Ort habe, die meine Liebe zu diesem alten Mann mit Bart und dessen Musik teilen. Also WhatsApp-Posts hin und her geschickt, Eintrittskarten besorgt, Wohnmobil gepackt, Kasten Bier in den Kofferraum und über die Sauerlandlinie ab nach Bochum. Dort, in der legendären Zeche gaben sich Ex-Hobo Steve Wold, alias Seasick Steve und sein Schlagzeugerkumpel Dan – das Tier – Magnusson am Dienstag die Ehre.
Um es vorwegzunehmen: es war ein großartiger Gig. Zwar mussten wir Zuschauer uns im Vorfeld durch ein Singer-Songwriter-Programm der eigentümlichen Art quälen. Ein extrem introvertierter Gitarrist, mit viel Hall und Delay auf der Hollowbody-Gibson-Gitarre, spielte Songs in immergleicher Tonart und sang dazu mit ausdrucksloser Stimme. Mancher Song erinnerte entfernt an Nick Drake, aber Redundanz und das Fehlen jeglicher Dynamik ging mir nach gefühlten zwanzig Songs dann doch ordentlich auf den Senkel. Auch noch so intensive Internet-Recherche brachte übrigens nicht ans Tageslicht, um wen es sich bei diesem Künstler handelte. Egal, mehr wollten ich und der Rest der Zuschauer in der gut gefüllten Zeche sowieso nicht hören. Bei der Ankündigung, jetzt seinen letzten Song zu spielen, war das Groß der Zuschauer sichtlich und hörbar erleichtert. Schade für den Künstler und auch ein wenig unfair, aber ich bin der Meinung, wenn schon unbedingt Vorprogramm, dann sollte es auf den Haupt-Act einstimmen und nicht mit einem paradox konträren Programm abschrecken.
Schön war dann allerdings, dass das Hauptprogramm mit Steve und Dan nahtlos vom Vorprogramm abgelöst wurde und die beiden den Mann vom Support – nennen wir ihn Buddy – in ihren ersten Song mit einbezogen. Endlich ging’s zur Sache. Dan Magnusson drosch dermaßen auf sein Schlagzeug ein, dass die Fußmaschine bereits nach wenigen Minuten barst, Steve spielte eine viersaitige Zigarrenkisten-Klampfe so, als würde er damit ein Heerschar des Ku Klux Klan aus dem Saal treiben wollen und Buddy zupfte erneut mit viel Hall und Delay ein allzu liebliches Solo, während seine Gesangsstimme plötzlich erstaunlich der von Seasick Steve ähnelte. Ich meine, hätte er das bereits in seinem Vorprogramm getan, man hätte ihm gefälliger zugehört.
Als Buddy dann die Bühne verlassen hatte und die Fußmaschine des Schlagzeugs wieder repariert war, ging es richtig los. Die Riffs von Seasick Steve und dabei ist es völlig egal, auf welcher der zahlreichen Gitarren er diese spielt, sind dermaßen druckvoll und stecken so voller mitreißendem Groove, dass man sich ihnen zu keinem Zeitpunkt entziehen kann. Dazu noch seine unglaubliche Gesangsstimme, seine Plüschaugen, der trotz seines Alters muskulöse Körperbau samt altmodischer Tätowierungen auf den Armen und der lange, weiße Nikolausbart, fertig ist das Gesamtkunstwerk Seasick Steve. Auf kaum jemanden trifft wohl das in der heutigen Zeit viel zu häufig verwendete Wort Authentizität mehr zu, als auf diesen grandiosen Kerl.
Apropos Gitarren. Wer nach einem Gig mit Seasick Steve immer noch an edle Gitarrenhölzer glaubt oder daran, dass es auf die Wahl der richtigen Gitarrensaiten oder gar auf deren Anzahl ankomme, dem ist nicht mehr zu helfen. Von der Zigarrenkiste über das Waschbrett, einen mehr oder weniger zurechtgehauenen, armstarken Ast bis zur umgebauten Kaufhausgitarre, bestückt mit einer, drei, vier oder sechs Saiten, spielt dieser Mann alles, was sich über einen Magnet-Tonabnehmer verstärken lässt. Alles!
Zwar bescheinigte er einer seiner Gitarren, sie sei ein „Piece of Shit“, aber man habe sich inzwischen so aneinander gewöhnt und trotz des Umstandes, dass die Klampfe nun wirklich nicht mehr gut aussehe, könne er sich nicht von ihr trennen um dann augenzwinkernd hinzuzufügen, sein Drummerfreund Dan Magnusson sehe ja auch nicht mehr so gut aus und von dem trenne er sich ja auch nicht.
Dann ein Showteil, auf den ich mich schon den ganzen Abend, ach was sag ich, die ganze Woche gefreut habe. Ich wusste aus Youtube-Videos, dass Steve bei seinen Konzerten immer eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne holt, sie neben sich Platz nehmen lässt, um ihr dann das Lied „Walkin‘ Man“ zu singen. Ein Liebeslied. Ein ganz wunderbares Liebeslied. In der Zeche in Bochum fand er eine hübsche Maid, die erst zwölf Jahre alt war – Hut ab, dass Mädchen in diesem Alter auf solche Art von Musik stehen – setzte sie, wie gewohnt neben sich und sagte ihr, nachdem sie ihr Alter verraten hatte, sie möge sich vorstellen, sie sei zehn Jahre älter und er, Steve, fünfzig Jahre jünger. Dann folgte dieser herrliche Song: „My Name is Steven, I’m your Walkin‘ man …“. Hach!
Schaut Euch dieses schöne Video an, dann wisst Ihr, wovon ich spreche:
Der Rest des Abends war Blues. Laut, sehr laut, rau, ungeschliffen, vorgetragen auf unzähligen Unikat-Gitarren mit Bottleneck und Schraubenzieher, verziert mit Christbaumschmuck von einem alten Hobo im Muscle-Shirt und einer John-Deere-Cap auf dem Kopf, einem Mann, der sein halbes Leben auf der Straße verbracht hat, der den Blues nicht nur spielt, sondern lebt und liebt. Freund Hanz, der während des Gigs neben mir stand, fragte mich zum Schluss: „Wie kann ein einzelner Mensch so sympathisch sein?“ Gute Frage!
Klasse! Mitreißend…