Panettone di Verona

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29.12.2015 von axeage

„Wenn Ihr in Italien ankommt, dann kauft Ihr als erstes einen Panettone“, riet uns Freund Erwin, als er sich telefonisch von uns verabschiedete. Und weil Erwin ein wirklich guter Freund ist und in seinem Leben schon sehr oft in Italien war, nur noch nicht zur Weihnachtszeit, so wie wir das mit Wohnmobil vorhatten zu tun, haben wir, nachdem wir zwei Tage vor Heilig Abend einen Stellplatz am Gardasee gefunden und uns akklimatisiert hatten, bei einem typisch italienischen Alimentarie-Händler, bei dem es vom Rotwein bis zur Espressomaschine alles für Küche und Haushalt gibt, einen Panettone gekauft. Es war dort übrigens wie im Panettone-Paradies. Vor dem Laden wurden palettenweise Panettone jeder Größe, jeder Art und jeder Preiskategorie angeboten. Wir konnten uns erst gar nicht entscheiden, aber schließlich wurde es – natürlich – ein Panettone Classico, ein Panettone di Verona, mit Rosinen und Mandelkruste, in Cellophan verpackt, der in einem gelben Karton steckte, an dem sich oben ein rotes Bändchen befand, mit dessen Hilfe man den Karton tragen und ihn gegebenenfalls überreichen und verschenken konnte.

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Stilleben mit Panettone

Der Panettone schmeckte hervorragend. Er schmeckte uns zum Frühstück mit Kaffee und zum Abendessen mit Rotwein. Er schwamm kurz auf, weil in einer engen Kurve zwischen Rom und Neapel unser schlecht verstauter Wasserfilter in den Einkaufskorb mit dem Panettone fiel und dort auslief, aber das Cellophan hat das Schlimmste verhindert und der Panettone gewann sogar ein wenig, weil er ohne dieses unfreiwillige Wasserbad wahrscheinlich zu sehr ausgetrocknet wäre.

Wenn man Weihnachten mit dem Wohnmobil von Nord nach Süd durch Italien fährt, muss man bis Rom damit rechnen, keinen einzigen offenen Campingplatz zu finden, allerhöchstens einen Wohnmobil-Stellplatz, bei dem es weder Strom noch Toiletten gibt. Am Gardasee in dem malerischen Städtchen Torri del Benaco und in Lunghezza bei Rom waren es jeweils der städtische Zentralparkplatz und der für 23 € sündhaft teure ADAC-Campingführer hatte zwar einige vermeintlich ganzjährig offene Campingplätze zu bieten, aber meistens fanden wir diese nicht, weil die Wegbeschreibung zu ungenau war oder sich der Campingplatzbetreiber nicht an die ADAC-Abmachungen hielt und trotzdem geschlossen hatte.

Was waren wir froh, als wir am dritten Tag unserer Reise von einem in feinstem Reiseprospektprosa beschriebenen, beschaulichen Campingplatz in unserem ADAC-Campingführer lasen, von altem Olivenbaumbestand gesäumt, in einem ehemaligem Vulkankrater am Rande der Stadt gelegen und wir diesen beschaulichen Ort wie durch ein Wunder – nein, tatsächlich war es kein Wunder, sondern unser Navigationssystem – auch wirklich fanden. Wohlgemerkt: in Neapel.

Nun, wie soll ich mich ausdrücken. Der Platz an sich war durchaus beschaulich. Ein alter Mann, der von zwei Hunden begleitet wurde, einem gutmütigen großen und einem kläffenden kleinen, dessen rechtes Ohr ständig umgeklappt war, so dass man sich gemüßigt fühlte, dieses Ohr wieder zurückzuklappen, hätte der Kläffer einen nicht ständig angekläfft, dieser alte Mann sah uns etwas unverwandt an, sagte, wir könnten unser Wohnmobil ruhig hier abstellen und ließ uns dann mit den beiden Hunden und ziemlich vielen streunenden Katzen alleine.
Wir sahen uns um und was wir sahen, wollte uns nicht so recht gefallen, Olivenbaumhain hin, Vulkankrater her: die Duschkabinen, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, es waren nämlich reichlich verdreckte Wannen, über denen ein verrosteter Duschhahn aus der Decke ragte, waren in einem alten Container untergebracht, in dessen Mitte sich ein Haufen Katzenscheiße befand. Das zum Campingplatz gehörende Restaurant und der Laden waren offensichtlich schon sehr lange nicht mehr geöffnet gewesen und der hintere Teil des Platzes beherbergte einen Spielplatz, dessen verschlissene Spielgerätschaften einen äußerst morbiden Charme verströmten.
Außer unserem Camper war da nur noch einer, der schon sehr lange Zeit hier stehen musste, ein altes Modell mit Alkoven, von Wind und Wetter gegerbt.

Wir standen eine Zeit lang ratlos neben unserer fahrbaren Wohnung, hin- und hergerissen zwischen dem glücklichen Umstand, endlich einen Campingplatz gefunden zu haben und der Erkenntnis, dass das hier alles Mögliche war, aber kein Platz, an dem man eine Nacht verbringen möchte. Der Hund mit dem Klappohr jagte eine Katze auf einen Baum und kläffte sie an. Eine kleine Katze, die der Kläffer ohne weiteres hätte erwischen können, was aber wahrscheinlich unter seiner Würde war, strich uns um die Beine und erwartete, etwas zu fressen von uns zu bekommen. Wir streichelten sie, als ein Wagen die enge Straße zum Campinggelände herunter kam, sich neben den alten Camper stellte, ein junger, gut gekleideter Mann ausstieg und einen Panettone aufs Autodach stellte. Genauso einen, wie wir einen gekauft hatten. Einen Panettone Classico, einen Panettone di Verona mit Rosinen und Mandelkruste in einem gelben Karton verpackt.
Der junge Mann grüßte uns freundlich, deutete auf die Katze auf dem Baum, die Anstalten machte, auf unser Wohnmobil zu springen und zündete sich eine Zigarette an. Wir dachten erst, er gehöre zum Campingplatz, aber er wandte sich von uns ab, lief ein paar Schritte und telefonierte dabei.
Dann kam ein zweites Auto. Dem entstiegen zwei ältere Herren, ebenfalls gut gekleidet, die den jungen Mann wie es sich für ordentliche Italiener gehörte, mit Küsschen auf die Wange begrüßten. Einer der Herren trug einen Aktenkoffer, den er eine Zeit lang in der Hand hielt, bis der junge Mann den im gelben Karton verpackten Panettone Classico, am roten Bändchen haltend, überreichte und den Aktenkoffer in Empfang nahm. Dann folgte eine kurze aber, wie es sich für ordentliche Italiener gehört, von großem Palaver begleitete Verabschiedung und beide Autos verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

„Denkst Du was sich denke?“, fragte ich die Liebste. Sie antwortete spontan: „Gomorrha, Geldübergabe.“ Ich nickte. An einem solch gottverlassenen Ort traf man sich bestimmt nicht, um Weihnachtsgeschenke auszutauschen. Ach ja, was war bloß aus den guten alten italienischen Momenten im Leben geworden, seit Angelo keine Kaffeewerbung mehr machte.

Wir fuhren dann weiter nach Pompeji und fanden einen schönen Campingplatz direkt gegenüber der Ausgrabungsstätte. Dass an diesem Tag auch noch der Vesuv ausbrechen würde, war kaum wahrscheinlich.

Ein Kommentar zu “Panettone di Verona

  1. Sehr schön, mehr davon! Was ist noch passiert? Und wann überreichst du mir meinen Panettone? Geldkoffer würde ich ersatzweise auch nehmen.

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