Literaturtage Lauf 2015 – John von Düffel
Hinterlasse einen Kommentar10.11.2015 von axeage
Ich gestehe, ich habe ein paar Jahre geschwänzt. Und ich bereue es. Der letzte Weblog-Eintrag über die Literaturtage Lauf stammt aus dem Jahr 2010. Ich verspreche, ich gehe in den nächsten Jahren wieder regelmäßig zu dieser Veranstaltung, denn die gestrige Lesung von John von Düffel war wieder einmal großartig.
Sein Buch Vom Wasser habe ich vor Jahren mit großem Genuss gelesen. Herr von Düffel ist passionierter Schwimmer und erzählt gleich zu Beginn der Veranstaltung , dass er abwechselnd ein Buch über ein Thema schreibt, von dem er eine Ahnung hat und dann eins, von dem er überhaupt keine Ahnung hat. In seinem neuesten Buch geht es um Karl Lagerfeld, dem Mann, der gesagt haben soll Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Mode sei im Gegensatz zu Wasser ein Thema, von dem er überhaupt keine Ahnung habe und damit ideal für ein Buch der zweiten Kategorie, sagt von Düffel.
Wovon er allerdings jede Menge Ahnung hat, ist literarisches Schreiben und das kommt bei der Lesung, die hauptsächlich einen Dialog zwischen dem Icherzähler und dem Modezar wiedergibt, voll zur Geltung.
Man kennt ja das überkandidelte Gehabe eines Herrn Lagerfeld aus diversen Fernsehshows, man kennt seine Art, ohne Punkt und Komma vom Tausendsten ins Hundertausendste zu kommen, ohne Rücksicht darauf, was der Gesprächspartner gemeint haben könnte, geschweige denn gemeint hat, man kennt seinen Gang, seine Gestik und den Stock, den er verschluckt zu haben scheint. All das wird von John von Düffel so gekonnt in einen Dialog verpackt, dass man nach einer Weile tatsächlich meint, dort vorne auf dem Podium säße Karl der Große leibhaftig. Er lässt Lagerfeld, den er nur K. L. nennt, palavern, jammern, sich beweihräuchern und sich echauffieren, schwadronieren und philosophieren. Irgendwann, als der Monolog in einen Dialog mit dem Icherzähler mündet, man möchte fast sagen „endlich mündet“, wird das herrliche Kunstwort schwadrosophieren geboren und man hat als Zuhörer fast eine Art Erweckungserlebnis. Genau das ist es: Lagerfeld sagt nichts und alles zugleich. Er bietet aufschlussreiche und wohlfeile Erkenntnisse in einem Satz. Alles, was man immer schon mal gedacht hat, denkt er auf seine eigene Modezar-Art und bringt mit dieser Art eine neue Sichtweise. Da ist viel Design und Modeschöpfung dabei, aber, wie K. L. nachhaltig betont, auch viel Disziplin, viel Deutschtugenden, viel Transpiration, weniger Inspiration. Das alles kennen wir von diversesten Motivationstrainern und Coaches, wirkt aber dann, wenn es von einem Sprach- und Erzählmeister wie von Düffel stammt, eben nicht abgedroschen und altklug, sondern innovativ und erhellend. Langanhaltender Applaus.
Die anschließende Diskussion mit dem zahlreich erschienenen Publikum – die Veranstaltung war fast ausverkauft – eröffnet John von Düffel mit einigen Sätzen über Lagerfelds Mutter. Sie soll über ihren Karl gesagt haben: der kommt durch und hat damit die Maxime seines Lebens vorweggenommen: Ich will und ich kann es und ich werde es tun. Inzwischen seit über achtzig Jahren.
Aufschlussreich waren auch von Düffels Ausführungen zu den rechtlichen Aspekten, wenn man Prosa über real existierende Personen schreibt, denn hier träten zwei Grundrechte in Konkurrenz: Das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Kunstfreiheit. Sollte sich von Düffel jemals mit Lagerfeld getroffen haben, hätte er unter Beachtung von dessen Persönlichkeitsrecht alles, was er mit ihm gesprochen hatte, genehmigen lassen müssen. Da er sich aber nie mit ihm getroffen hat, konnte er sich auf das Recht der Kunstfreiheit berufen und war in seinem Schreiben mehr oder weniger frei.
Weitere Publikumsfragen bezogen sich darauf, welche Art von Badehose von Düffel als passionierter Schwimmer und jetzt, nachdem er sich intensiv mit Modefragen zu befassen hatte, bevorzuge. Er antwortete amüsiert und sich auf das energische Intervenieren seiner Tochter berufend, dass er Badehosen mit längerem Bein den Tanga-Badehosen vorziehe. Doch, man sah den zahlreich im Auditorium anwesenden Damen fast jeden Alters an, dass sie sich den sportlichen und außerordentlich sympathischen Schriftsteller in diesem Augenblick in Badehose vorstellten.
Die Frage, wie er zum Themenkomplex Ironie und Humor stehe, beantwortete von Düffel mit einer Anekdote. Er sei als Sohn eines vielreisenden Studenten-Paares, das Andreas Baader und Ulrike Meinhof sehr ähnlich sah, öfter Zeuge gewesen, wie seine Eltern von martialisch auftretenden Polizeikontrollen angehalten und mit den Händen auf dem Autodach durchsucht worden waren. Wenn Sie solche Szenen händchenhaltend mit ihrem kleinen Bruder erlebt haben, haben Sie keine andere Chance, als dies mit Ironie und Humorverständnis zu ertragen, sagte von Düffel augenzwinkernd dem köstlich amüsierten Publikum.
Ein Fragesteller im Publikum kam dann noch auf die wunderbare Idee, Herrn von Düffel zu bitten, die Stelle im Roman vorzulesen, bei der er B. S. trifft. Dabei handelt es sich um Barbara Schöneberger, das mit dem zum Silberblick neigenden und blonder Löwenmähne ausgestatteten Vollweib. Im Roman trifft sie der Icherzähler „in Zivil“ bei einer Zugfahrt, sprich ihre Löwenmähne ist mehr oder weniger gebändigt, sie ist ungeschminkt und wirkt „in Natur“ wesentlich kleiner und wesentlich weniger opulent als auf der Leinwand. Aber für eine Beschreibung dieser Barbara Schöneberger benötigte von Düffel nicht zwei Sätze, so wie ich jetzt, sondern mehrere Buchseiten, vergleichbar mit der selbstironischen Be- und Umschreibung der Nase des Cyrano de Bergerac. Obwohl oder weil er sich bei dieser Begegnung vornahm, dieses Superweib nicht anzustarren, sondern sie aufmerksam zu ignorieren, kommt es im „Showdown“ dieser köstlichen Szene, für die ich demjenigen, der diese kleine Nachlese, wenn man so will, aus Herrn von Düffel noch herausgekitzelt hat, sehr dankbar bin, zu dem Bekenntnis seitens B. S.: Ja, ich bin es.
Blieb zum Schluss die Frage, wie John von Düffel drauf kam, gerade über Karl Lagerfeld einen Roman zu schreiben. Seine Erklärung ist ebenso profan wie einleuchtend: ein Bericht über Karl Lagerfeld in einem Gala-Magazin, das im Wartezimmer seines Zahnarztes auslag, hatte ihn dazu bewogen. Für uns Leser und Patienten bleibt also die Erkenntnis, die Lektüre in den Wartezimmern der Arztpraxen unserer Republik in Zukunft auch oder vor allem unter dem Aspekt zu betrachten, dass sie als Grundlage für großartige Literatur dienen könnte.
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Weiterführende LINKS:
- Literaturtage 2010: Michael Lentz, Judith Hermann.
- Literaturtage 2009: Hier.
- Literaturtage 2008: Hier.
- Literaturtage 2007: Hier und hier.