Going Home – Teil 7
Hinterlasse einen Kommentar05.02.2009 von axeage
„Help me“, winselt John Sebastian, der eine halbe Stunde später auf der Bühne steht und seinen Text vergessen hat.
„Mein Gott, welch ein Freak“, schimpft Harry, der überhaupt nicht auf Sebastian und dessen Musik steht.
„Der ist völlig weggetreten. Der gehört nicht auf die Bühne.“
John schüttelt den Kopf und versteht nicht, warum Harry sich so aufregt.
„Hab’ Dich nicht so. Ich finde ihn klasse. Schau Dir seine Klamotten an. Die hat er bestimmt alle selbst gebatikt.“
„Genau, das meine ich“, entgegnet ihm Harry und steigert sich hinein:
„das ist alles nur Understatement und seine Musik ist richtig Scheiße. Sein Name steht überhaupt nicht auf dem Programm.“
Harry kramt ein mehrfach zusammengelegtes Plakat aus seiner Hosentasche hervor und entfaltet es.
„Siehst Du hier einen John Sebastian? Nein, Du siehst hier keinen John Sebastian. Ich habe nicht Eintritt bezahlt, um diesem bekifften Schnulli dabei zuzusehen, wie er sich vom Publikum den Text soufflieren lässt, Himmel Herrgott!“
Harry ist außer sich. Daggy schmunzelt und streichelt ihm über den Kopf. Sie mag es, wenn er sich so aufregt.
„Mir gefällt’s“, sagt sie und legt sich wieder hin.
John war Daggys liebevolle Geste Harry gegenüber nicht verborgen geblieben. Er beobachtet die beiden eine Zeit lang aus den Augenwinkeln heraus und kämpft gegen eine leichte Eifersucht an. Er schmiegt sich an Daggy und sagt:
„Mir gefällt es auch. Lass’ den Blödmann brummen. Der braucht das, sonst ist er nicht glücklich“.
„Harry ist kein Blödmann“, sagt sie und während Applaus aufkommt, weil Mr. Sebastian fertig ist mit seinem improvisierten Gig, dröhnt dieser Satz in Johns Kopf wie von einem Endlosband: Harry ist kein Blödmann, Harry ist kein Blödmann …
Die Wolken hängen jetzt fett und rabenschwarz über dem Gelände. Der Wind hatte etwas nachgelassen, setzt aber jetzt umso stärker ein. Das Endlosband in Johns Kopf will nicht aufhören.
Wie war das in den letzten Wochen und Monaten? John hatte viel zu tun. Er musste zahlreiche Klausuren schreiben und nachts immer noch diese nervigen Jobs am Hafen oder in der Tankstelle. Harry hat merkwürdigerweise nie besonders viel zu tun. Er hängt eigentlich immer nur herum. Das Geld kommt von seinen Eltern und büffeln hat John Harry auch noch nie gesehen, höchstens mal in der Bibliothek. Ansonsten war Harry in den Kneipen oder in den Cafes anzutreffen, in der Mensa oder auf Partys, die immer irgendwo stattfinden.
Und Daggy hatte sich eigentlich nie beschwert, dass John in den letzten Wochen und Monaten wenig bis keine Zeit für sie hatte. Harry ist kein Blödmann …
Harry und Daggy unterhalten sich. Sie tuscheln. John will sie nicht belauschen. Er rückt absichtlich ein Stück zur Seite. Harry ist kein Blödmann, nein, bestimmt nicht!
„Sweetwater“, schreit Harry plötzlich und deutet auf die Bühne. Er ist ein echter Fan dieser Band und überzeugt davon, dass sie eine große, eine richtig große Karriere vor sich hat.
„Meine Fresse, ich habe schon gedacht, die fallen aus und es gibt stattdessen diesen selbstgebatikten Wandergitarristen. Sweetwater!!!“ brüllt Harry und kann damit zahlreiche Festivalbesucher um ihn herum zu einem Fan-Chor animieren.
Sweet Wa Ter – Sweet Wa Ter –Sweet Wa Ter.
Nancy Nevins, die Sängerin winkt in Richtung des Chors. Harry ist außer sich.
„Habt Ihr das gesehen. Habt Ihr das gesehen. Sie hat uns zugewunken. N A N C Y !!!“. Harry schreit sich die Seele aus dem Leib.
Harry ist doch ein Blödmann.